Weltweite Vernetzung für globale digitale Rechte
Geraldine de Bastion ist Politikwissenschaftlerin, wohnt in Berlin und arbeitet mit Aktivist*innen, Regierungen, Start-ups und NGOs auf der ganzen Welt an der Schnittstelle zwischen Digitalisierung, Innovation und Menschenrechten zusammen. 2017 hat sie das Netzwerk Global Innovation Gathering (GIG) ins Leben gerufen.
Du setzt dich schon lange mit Digitalität und Zivilgesellschaft auseinander. Wie bist du dazu gekommen?
Das hat sich ergeben, als ich Politikwissenschaften studiert habe, in einem Hörsaal mit 2.000 Menschen saß und feststellte, dass wir am Ende alle in den gleichen Vorstellungsgesprächen sitzen werden. Daraufhin habe ich überlegt, was meine Nische sein könnte und gemeinsam mit einem Freund eine digitale Plattform für Jugendmedien gestartet. Lange bevor es Blogplattformen gab, haben wir ein Forum geschaffen, wo junge Menschen eigene Inhalte veröffentlichen konnten, Berliner Jugendzeitungen vernetzt und Medientrainings für junge Menschen angeboten. Besonders interessiert hat mich, wie Menschen in der digitalen Sphäre interagieren – was auch Schwerpunkt meines Studiums und meines Diploms zu sozialer Bewegungsforschung und digitaler Mobilisierung wurde.
Was ist das Global Innovation Gathering (GIG)?
Das GIG ist ein internationales Netzwerk fantastischer Menschen, die sehr viel Arbeit dafür leisten, dass Menschen in den unterschiedlichsten Ecken der Welt Zugang zu digitalen Technologien bekommen. Dazu gehören Basisinnovator*innen, soziale Unternehmer*innen, Gründer*innen und Manager*innen von Makerspaces, Hackerspaces und Innovationszentren, die wir miteinander vernetzen und bei ihrer Arbeit unterstützen.
Themen, die uns bewegen, sind beispielsweise offene Technologien, damit die Lösungen, die wir brauchen, nicht in den Händen einzelner Firmen landen, sondern so genutzt werden, dass sie allen Menschen auf der Welt zugutekommen. Weitere Fragen sind: Wie gestalten wir eine Welt, die nicht anfällig ist, sondern resilient ist? Wie überwinden wir einseitige Lieferketten und unsere Abhängigkeit von bestimmten Rohstoffen? Wie fördern wir dezentrale Fabrikationen?
Wir richten unseren Blick in die Zukunft, beschäftigen uns aber auch mit ganz praktischen Fragen. Ein Mitglied aus Nigeria hat einen Bauplan für ein Mikroskop so adaptiert, dass es leicht in Serie nachbaubar ist. Mittlerweile statten sie – ich übertreib jetzt ein bisschen – ganz Nigeria mit Mikroskopen aus, die sie günstig in Supermärkten verkaufen, aber auch in Schulen zur Verfügung stellen, damit viele Menschen Zugang zu Wissenstechnologien bekommen.
In welchem Zusammenhang wir der Digital Divide besonders deutlich und inwiefern ist das ein Problem?
Der Digital Divide ist ein Problem, das hauptsächlich Menschen mit niedrigem Einkommen und hier insbesondere vulnerable Gruppen betrifft – damit ist immer noch ein großer Teil der Weltbevölkerung davon betroffen. Digitale Gräben sind ein Problem, das in allen Gesellschaften auftritt. Deutschland hinkt im Vergleich zu anderen Ländern sehr stark hinterher beim Ausbau von Breitbandinternet, in den USA können sich viele Menschen kein Datenvolumen leisten, ein Problem, das in vielen Ländern des globalen Südens sogar noch gravierender ist. Nutzer*innen können, wenn überhaupt, häufig nur auf vorkuratierte Inhalte wie Facebook Zero zugreifen, sich aber nicht frei im Internet bewegen. Zusätzlich gibt es unterschiedliche Arten und Weisen, wie Ausgrenzung stattfindet und Inklusion eben nicht stattfindet. Das betrifft insbesondere, welche Sprachräume es im Internet gibt, aber auch die Abgeschnittenheit von finanziellen Transaktionssystemen in vielen afrikanischen Ländern.
Für digitale Transformation braucht es auch digitale Rechte. Was muss sich da in den kommenden Jahren tun?
Auch hier tut sich ein digitaler Graben auf, denn Menschen in der EU profitieren von einem Rechtsrahmen, in dem sie ihre (digitalen) Bürger*innenrechte gegenüber den großen Technologieplattformen, aber auch gegenüber Staaten geltend machen können. Für viele andere Menschen hingegen gilt das nicht. Ein Beispiel, das mich erschaudern lässt, ist ein Deal zwischen Zimbabwe und dem chinesischen Start-up Cloudwalk, bei dem Daten zu den Gesichtern der Bürger*innen verkauft wurden, damit die KI (Künstliche Intelligenz) auch mit afrikanischen Gesichtern lernen kann.
Innerhalb der EU besteht Einigkeit darüber, dass wir in Sachen Digitalisierung einen dritten, eher demokratischen Weg brauchen, der sich sowohl vom Überwachungskapitalismus der USA als auch von der staatlichen Überwachungskrake der chinesischen Regierung abgrenzt. Stattdessen braucht es sinnvolle Regulierung zur Wahrung der Bürger*innenrechte. Die EU möchte ihre Überzeugungen und Policy-Rahmen exportieren und setzt auf Policy-Dialoge, um globale Allianzen zu schaffen. Die DSGVO ist ein Beispiel für eine Policy, die aus der EU kam und eine Strahlkraft im Rest der Welt entwickelt hat. Es besteht die Hoffnung, dass auch die europäischen KI-Verordnung oder der Digital Single Market Act ähnliche Wirkung entfalten könnte. Schwierig ist es jedoch, wenn Europa dabei mit einem hierarchischen Verständnis durch die Welt geht.
Welche Akteure arbeiten momentan an einem globalen Rahmen für digitale Rechte?
Viele rechtliche Vorstöße kommen aus der EU-Kommission. Hier würde ich aber gerne noch mehr Beteiligung sehen. Hinzu kommen offizielle Gremien wie das Internet Governance Forum der UN (IGF), das sich jährlich trifft. Gerade fand ein Treffen in Äthiopien statt und der Prozess beinhalten zumindest theoretisch Multistakeholder-Aspekte. De facto ist es aber leider so, dass aus Ländern, in denen die Bedingungen für die Zivilgesellschaft schwierig sind, kaum Vertreter*innen teilnehmen können, da es an der Finanzierung scheitert.
Außerdem gibt es vereinzelte Bestrebungen von international arbeitenden NGOs wie GIG, Algorithm Watch, Access Now und anderen, die in Ländern des globalen Nordens und des globalen Südens arbeiten. Es ist von großer Bedeutung Dialoge zu ermöglichen, die Finanzierung zu verbessern und Strukturen zu schaffen, um zivilgesellschaftliche Akteure zusammenbringen, damit sich zu relevanten Themen austauschen und in Policy-Dialoge einbringen können.
Als Speakerin, Moderatorin und Kuratorin der re:publica hast du einen sehr guten Überblick über die Diskussion rund um Digitalität und Zivilgesellschaft in Deutschland. Welche große Fragen stehen hier gerade ganz oben auf der Agenda?
Eine gute Übersicht bietet der Forderungskatalog für eine digital-souveräne Gesellschaft, der von vielen Organisationen unterzeichnet wurde, die sich in diesem Bereich engagieren. Demnach soll die digitale Souveränität der Gesellschaft als zentrale Maxime in der Digitalpolitik verankert werden und die Zivilgesellschaft paritätisch beteiligt und mehr Transparenz geschaffen werden. Für Staatsausgaben im digitalen Bereich soll der Grundsatz „Public Money? Public Good!“ gelten und die Digitalisierung soll wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltig umgesetzt werden.
Gerade in dieser neuen Legislaturperiode haben wir die Chance, viele Dinge anders zu gestalten und anders zu begreifen! Es ist an der Zeit, Konzepte wie digitale Souveränität, digitale Identität, Datenhoheit und Open Data weiter zu entwickeln. Auch bei kritischen Dauerbrennern wie der Vorratsdatenspeicherung oder Netzneutralität und der Begleitung von Policy-Prozessen gibt es viel zu tun!
Was müsste sich für eine große Transformation hin zu einer digital-souveränen Gesellschaft verändern?
Es ist ganz normal, dass es in Gesellschaften unterschiedliche Kräfte mit unterschiedlichen Interessen gibt – in diesem Fall stoßen nicht nur wirtschaftliche Interessen von Big Tech Unternehmen und Grundrechte der Bürger*innen, sondern auch unterschiedliche Freiheitsverständnisse aufeinander. Wichtig ist es aber, die Finanzierung von digitaler Zivilgesellschaft zu verbessern, um eine andere Art von Mitsprache zu ermöglichen. In der Öffentlichkeit bräuchte es ein breiteres Verständnis für das Thema, um digitale Bürger*innenrechte zu stärken, Bildungsangebote in Schulen und Kampagnen von NGOs sind daher sehr wichtig! Wünschenswert ist auch, dass Parteien sich intensiver mit einer digital-souveränen Gesellschaft beschäftigen.
Du hast 2018 die erste re:publica in Ghana organisiert. Welche großen Themen rund um Digitalität & Zivilgesellschaft standen dort auf der Agenda?
Hier möchte ich eine Freundin und Speakerin zitieren: „Die Themen sind dieselben, nur der Kontext ist ein anderer“. Die re:publica in Accra war wirklich eine wunderbare Erfahrung. Ich habe ein afrikanisches Kurator*innenteam koordiniert und auf unseren Call for Participation bekamen wir mehr als 200 qualitativ hochwertige Einreichungen. Es gab zahlreiche Diskussionen rund um digitale Rechte, spannende Auseinandersetzungen um Archive und die Aufbereitung von Wissen in postkolonialen Kontexten, Veranstaltungen zu Female Empowerment und coole Kunst-Performances… Für mich war es eine der besten re:publicas aller Zeiten!
Ich möchte nochmals betonen: Um den Austausch zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen im globalen Süden und Norden weiter zu stärken, braucht es mehr Möglichkeiten für Begegnung, bessere Finanzierung für Strukturen und freie Netzwerkarbeit zum Thema.
Im Gespräch hast du viele Herausforderungen aufgezeigt, welche Projekte geben dir dennoch Hoffnung?
Ich arbeite mit dem wunderbarsten Netzwerk der Welt zusammen, wo es jeden Tag so viel Inspiration und Hoffnung gibt! So viele Menschen arbeiten unter schwierigsten Umständen – ohne ausreichende Finanzierung und ohne Support durch ihre Regierungen unermüdlich dafür gerade auch jungen Menschen neue Perspektiven und neue Hoffnung zu geben. Wir brauchen alle Menschen auf dieser Welt, um die großen Probleme unserer Zeit zu lösen und dafür, dass alle dabei mitmachen können, leisten die Mitglieder bei GIG täglich einen Beitrag.
In Brasilien gibt es ein Projekt, datalabe, das Menschen ohne digitalen Hintergrund die Arbeit mit Daten näherbringt und sie nach dem Data Governance Ansatz in Stadtplanungsprojekte einbezieht. In Basra im Irak bietet der Makers Space, der erste den es im Irak gab, Menschen einen Rückzugsort vor unerträglicher Hitze und den Folgen des Krieges haben, um sich dort mit Energie- und Klimathemen auseinandersetzen und aus ihrer Perspektive Lösungsansätze entwickeln. Und es gibt noch so viel mehr inspirierende Beispiele!
Hier kannst du dich weiter informieren:
- Einblicke in die re:publica in Accra und die Themen, die dort diskutiert wurden, bekommst du hier.
- Die vier Forderungen der digitalen Zivilgesellschaft im Detail findest du hier. Sie geben einen guten Überblick über die drängendsten Forderungen.
- Vor einigen Jahren hat Geraldine den sehr empfehlenswerten Film „Digital Africa“ für Arte gemacht, in dem auch viele Mitglieder aus dem GIG-Netzwerk vorgestellt werden. Leider ist der Film derzeit nicht online verfügbar.
Text und Redaktion: Johanna Hansen